Lohntransparenz in Deutschland: Warum redet keiner übers Einkommen?

Wir diskutieren dauernd über das liebe Geld. Was kostet die Butter? Wieviel Cent bekommen eigentlich die Bauern für einen Liter Milch? Wie ist gerade der Gas-Preis? Ein Gin Tonic 10€ - ist das jetzt fair oder unverschämt teuer oder unverschämt günstig? Nur in einem Bereich sind die meisten Menschen eher zugeknöpft: Lohntransparenz in Deutschland. Wenn es um den eigenen Lohn geht, um den monetären Wert, der uns in unserer Arbeit zugemessen wird, dann sind viele eher kleinlaut. Auf die Frage wieviel Geld sie eigentlich verdienen, geben die meisten Deutschen selbst in anonymen Umfragen ungern eine konkrete Antwort. Wir reden nicht gern über Lohn und Einkommen.

Wieviel verdienen eigentlich Menschen im sozialen Sektor? Ach, wahrscheinlich zu wenig…
Wieviel verdient eigentlich ein Mensch, der kleine Plastiknippel zur Befestigung von Auto-Innenraum-Verkleidung an BMW vertickt? Wir verraten es euch: Mehr, mehr, mehr. Ist das gerecht? Wir finden nicht.
Ist es gerecht das DAX-Vorstände in Deutschland 97 mal soviel Tacken wie ihre Angestellten heimtragen? Wir finden nicht.

(Un-)Bewusste Ungerechtigkeiten statt Lohntransparenz in Deutschland

Wir sind uns sicher, dass die meisten Menschen (zumindest unbewusst) wissen, dass es zutiefst ungerecht ist, wenn Pflegekräfte beklatscht werden, während Aktionäre in Krisen trotz Staatshilfen Dividenden einstreichen. Genauso ungerecht verhält es sich auch mit der unterschiedlichen Bezahlung aufgrund des Geschlechts.
Im Jahr 2021 verdiente eine deutsche Frau 18% weniger als ein Mann – helfen die gesetzlichen Regelungen (siehe unten)? Kleiner fun fact für alle, die gerne auf den Osten Deutschlands schimpfen: Im Osten ist der gender pay gap „nur“ bei 6%. Historische Restbestände eines egalitär angelegten Gesellschaftsystems, in dem es allerdings auch nicht die Freiheit gab sich gegen die Arbeit zu entscheiden.

Wir glauben, dass offensichtliche Ungerechtigkeiten der Demokratie und unserer Gesellschaft auf Dauer Schaden zufügen. Lohntransparenz kann ein Schritt sein, um eine Diskussion in Gang zu bringen und mehr Lohngerechtigkeit herzustellen.

Ein unwirksames Entgelttransparenzgesetz

Bei OHRBEIT hatten wir uns zum Ziel gesetzt, Gehälter zu jedem Jobcast transparent zu veröffentlichen. Wir dachten in einem Land, in dem es ein Entgelttransparenzgesetz gibt, kann man schon mal über Gehälter sprechen. Nun, da haben wir uns vertan.
By the way: Das Entgelttransparenzgesetz kann leider nicht viel. Es operiert mit hohen Hürden für die Auskunftspflicht (Betriebe über 200 Mitarbeitende) und klammert dadurch 2/3 der weiblichen Arbeiterschaft aus.
Außerdem muss man sich das gleiche Gehalt bei festgestellter Benachteiligung erstmal einklagen. Das kommt sicher super an. OHRBEIT-Geheimtipp, wenn du Karriere in einer Firma machen willst: Erstmal der Firma den Arsch vollklagen, dass sie dich gerecht bezahlt, danach stehen dir alle Türen offen.
Dieses Gesetz ist ein gutgemeinter Versuch, der vielleicht einen Diskurs zur Lohngerechtigkeit angestoßen hat. Wir sind mal positiv und deuten das so: Es geht in Mini-Trippel-Schritten voran.
An der konkreten Auskunftsfreudigkeit der Unternehmen zur Bezahlung hat sich aber bisher wenig geändert – das ist auch unser Eindruck.

Unsere Erfahrung mit Gehaltstransparenz

Die meisten Kunden von uns möchten die Gehälter von Vakanzen nicht veröffentlicht sehen. Sie möchten ungern diese Transparenz herstellen – selbst mit einem ungefähren Gehaltsrahmen tun sie sich schwer.
Ein oft vernommenes Argument hierfür ist, dass ein Top-top-top-Kandidat natürlich mehr verdienen würde. Eine zu geringe Gehaltsangabe würde solche Menschen abschrecken. Aber meistens wird einfach fundamental abgeblockt. Gehalt veröffentlichen? Nein, keine Chance!
Es wird nicht gern über Gehälter geredet.
Von unserer jahrelangen Tätigkeit im Headhunting & Recruiting gehen uns Gehälter leicht über die Lippen, aber die Unternehmen tun sich schwer ihre Gehaltsgefüge offenzulegen.
Der Verdacht liegt nahe, dass andere Menschen in den Abteilungen für die gleiche Tätigkeit anders bezahlt werden. Das ist nicht fair.
Der Verdacht liegt auch nahe, dass junge IT-Menschen mehr verdienen als ihre Kollegen, die schon 20 Jahre im Business sind, einfach weil sie gerade einsteigen. Aber psst! Die alten Hasen sollen davon nix mitkriegen, könnte ja für Unmut sorgen.

Wir finden solche Mechanismen traurig und dennoch haben wir uns schweren Herzens entschieden, die Gehälter der Vakanzen nicht mehr auf der Seite zu veröffentlichen. Wir sind also Teilnehmende im Pssst-Game und können in unseren Jobcasts keine Gehaltstransparenz gewährleisten. Aber wir können euch ermutigen: Sprecht mehr über eure Gehälter! Lasst uns mehr über (un-)gerechte Löhne sprechen!

Warum tun wir uns in der Praxis so schwer über Gehälter zu reden?

Egal ob Privatmenschen oder Firmen – in Deutschland tun wir uns schwer über unser Gehalt zu reden. Wieso eigentlich? Es ist eine spannende psychologische Frage, warum dieses Thema so schambehaftet ist. Liegt es daran, dass wir intuitiv wissen, dass es in Deutschland nicht gerecht zugeht? Wollen wir uns einfach die leidigen Diskussionen ersparen? Halten wir das Thema lieber unter der Decke, weil wir Angst haben den sozialen Frieden zu gefährden? Lieber nicht drüber reden, könnte für alle unangenehm werden…

Lohntransparenz führt hoffentlich zu (vorübergehender) Unzufriedenheit

Eine im Herbst 2021 veröffentlichte Hochschulstudie von Forschenden eines deutsch-schweizerischen Forschungsverbundes bestätigt genau diese bad vibes bei Gehaltstransparenz.
Wenn man erfährt, dass die Kolleg*innen für die gleiche Arbeit mehr verdienen, dann kann das die Arbeitsmotivation und Zufriedenheit ganz schön hemmen. Ach was? Schön, dass wir das jetzt kritisch rational schriftlich haben. Der Effekt wird mit „spontan auftretendem Neid“ begründet. Als Fazit gibt Kathrin Schnaufe (Mitinitiatorin der Studie) an, dass die Umstellung auf Lohntransparenz nicht automatisch zu einer Wahrnehmung von Lohngerechtigkeit führe. Stattdessen könne die Lohntransparenz sogar negative Auswirkungen auf die Einstellung zur Arbeit haben. Also lieber nix sagen, jemand könnte ja negativ drauf kommen?

Lasst uns lieber reden! Wir finden es gut, wenn Diskussionen in Gang kommen. Eine gewisse Unzufriedenheit mit den aktuellen Lohnungerechtigkeiten darf gerne mit auf den Tisch. Wenn es Ungerechtigkeiten gibt, dann lasst sie uns nicht totschweigen.

Einfach mal über Gehalt reden für mehr Lohntransparenz in Deutschland

Wenn es die Firmen nicht schaffen, dann fragen wir uns doch einfach gegenseitig mal öfter: Hey was verdienst du eigentlich? Findest du das fair? Was muss sich ändern? Wir fänden es schön, wenn mehr Menschen dieses Tabuthema ansprechen würden und Stück für Stück mehr Transparenz in das Psst-Game kommt.
Ein bisschen Lohntransparenz in Deutschland kann nicht schaden – einfach mal reden.
Ach übrigens, wer reden kann, der kann auch singen:

Seems like everybody's got a price
I wonder how they sleep at night
When the sale comes first and the truth comes second
Just stop for a minute and smile
Why is everybody so serious?
Acting so damn mysterious…?

Etwas weniger Ernst bei der Sache, etwas mehr Auskunftsfreudigkeit. Das ist der erste Schritt zu etwas mehr Lohngerechtigkeit. Lasst uns drüber reden!

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